Rede zum 50. Jubiläum der Stiftung Reusstal

Sehr geehrte Frau Grossratspräsidentin, sehr geehrter Herr Regierungsrat, sehr geehrter Herr Stadtammann, Herren Gemeindeammänner, sehr geehrte Ehrengäste aus Nah und Fern, liebe ehemalige und aktive Stiftungsräte

Es ist mir eine grosse Freude und Ehre, Sie alle heute an unserem Jubiläumsanlass begrüssen zu dürfen. 50 Jahre Stiftung Reusstal – das sind 50 Jahre Natur- und Landschaftsschutz mit Höhen und Tiefen, ganz im jeweiligen Trend der Zeit. Aber auf jeden Fall ist es ein Grund zum Feiern, und daher haben wir uns hier im Jo-Jo zusammengefunden.

Eine Geburtstagsfeier lädt ja in der Regel dazu ein, Rückschau zu halten auf die vergangenen Jahre. Einen solchen Rückblick wird Ihnen später unser Geschäftsführer Josef Fischer präsentieren. Ein paar Gedanken möchte ich diesbezüglich aber noch äussern: Im zukunftsgläubigen Jahr 1962, als die schöne neue Welt, in der dank dem technischen Fortschritt alles leichter wird und die Unwägbarkeiten der Natur überwindbar schienen, als Idealbild galt, die Landwirtschaft intensiviert und industrialisiert wurde, gerade zu dieser Zeit wurde die Stiftung Reusstal aus der Taufe gehoben. Dank Menschen, die auch damals schon begriffen haben, dass auch die intakte Natur und die unberührte Landschaft einen Wert haben, wurde dieses Werk möglich. In einer fast einmaligen Zusammenarbeit zwischen den Naturschutzorganisationen, dem Kanton, den Gemeinden und der Landwirtschaft wurde um eine Ausgestaltung des Reusstals gerungen, die sowohl der Produktion als auch dem Naturschutz ihre Rechte einräumte.
Wie stellt sich die Situation 50 Jahre später dar? Die Schweiz und vor allem das Mittelland werden von einem enormen Bevölkerungswachstum herausgefordert. Der Lebensstandart und damit das Komfortbedürfnis ist ebenfalls auf ein noch nie dagewesenes Mass gestiegen.
Gleichzeitig kämpft die Landwirtschaft um die durch das Siedlungswachstum schrumpfenden Bewirtschaftungsflächen und zusätzlich ist gerade der Landschaftsschutz auch mit den Herausforderungen der Energiewende konfrontiert.
Was vor 50 Jahren trotz dem naturentfremdeten Umfeld möglich war, ist heute fast nicht mehr vorstellbar. Unter dem ökonomischen Druck und dem Kampf um Landflächen ist unter vielen Landwirten „der Naturschutz“ beinahe zum Schimpfwort verkommen. Das macht es auch für unsere Stiftung zunehmend schwierig, neue Projekte auf neuen Flächen zu generieren. Die Gemeinden sind sich zwar bewusst, dass eine intakte Landschaft auch ein Standortvorteil ist, engen diese Landschaft aber durch ungebrochenes, so genannt „moderates“ Wachstum in enormem Tempo ein. Zusätzlich zu den neuen Siedlungsflächen wächst natürlich auch der Druck auf die Naturschutzgebiete durch immer mehr Neuzuzüger, die in der immer kleineren Grünfläche nach Erholung und Freizeitvergnügen suchen. Und schliesslich die Energiewende: zwei Vorstösse im Grossen Rat verlangen eine Machbarkeitsstudie bezüglich neuer Flusskraftwerke im Aargau, zwei mögliche Standorte befinden sich an der Reuss, unterhalb von Mellingen. Muss jetzt „der Naturschutz“ tatsächlich den Landschaftsschutz aufgeben, angesichts des möglichen Energieengpasses nach dem Atomausstieg? Ist günstige, immer verfügbare und immer noch verschwendete Energie für unser immer grösseres Komfortbedürfnis wirklich wichtiger als eine intakte Flusslandschaft? Die Abwägung dieser Werte ist eine zutiefst ethische Frage, so wie unsere Gesellschaft auch durch den Machbarkeitswahn in der Medizin, der Technik und in der Wirtschaft zunehmend mit ethischen Grundsätzen und Werthaltungen konfrontiert ist. Diese Fragen werden wir als Gemeinschaft über kurz oder lang beantworten müssen. Die aktuelle Dynamik in allen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen zwingt uns dazu. Gerade dies kann aber durchaus auch ein Vorteil sein. Wir wissen es: wo die Reuss zu einem reissenden Fluss wird und durch ihre Macht die Ufer abträgt, entstehen auch wieder neue Lebensräume. Vielleicht führen die Stromschnellen der sich fast überschlagenden wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Ereignisse dazu, dass wir unser grundsätzliches Verhalten und unsere Einstellung zu allem Leben, das uns umgibt, ändern müssen. Es ist gut möglich, dass durch die Heftigkeit der weltweiten Umbrüche ähnlich wie die Fliessdynamik unserer Reuss die an uns haftende Schicht von Überheblichkeit, Ignoranz, Bequemlichkeit und Egoismus weggewaschen und die wahren Werte  der Verantwortung und des Miteinanders in der ganzen Schöpfung wieder frei gelegt werden. Nur so wird eine nachhaltige Entwicklung möglich sein.

Alexandra Abbt, 20. Juni 2012